En Tierra Extraña

Jung, gut ausgebildet, oftmals mehrere Universitätsabschlüsse in der Tasche, aber ohne Aussicht auf einen Job im eigenen Bereich – die Wirtschaftskrise in Spanien, die daraus folgende Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsverhältnisse haben 700.000 Spanier*innen dazu gebracht, ihr Glück in anderen Ländern zu versuchen. Allein 20.000 davon befinden sich in der schottischen Hauptstadt Edinburgh. Doch auch dort sind sie weder verloren, noch verstummt: In einer Kunstaktion macht eine Gruppe von Aktivist*innen auf ihre Situation aufmerksam und bringt ihre Wut zum Ausdruck.

Die ersten Anstellungen finden die migrierten Spanier*innen in En tierra Extraña zunächst vor allem in schlechter bezahlten und prekären Arbeitsbereichen. So arbeitet der Biologie im China-Restaurant, die Lehrerin im Kleidungsgeschäft, die Chemikerin als Zimmermädchen. Was sie alle eint, ist die Bitterkeit, im Land, das sie ausgebildet hat, nicht überleben zu können, die verstörende Frage „Womit habe ich das verdient?“ nach Jahren des arbeitsintensiven Studiums.

Sie alle umtreibt die Wehmut angesichts der zurückgelassenen Lieben im Heimatland, aber auch die hoffnungsvolle Erfahrung, im titelgebenden ‚fremden Land‘ willkommener geheißen, als Arbeitskraft mehr geschätzt und gefördert zu werden als in Spanien: „I feel more respected here as a shop assistant than in Spain as a teacher“, bringt es eine der Protagonist*innen des Filmes  auf den Punkt, während sie vor der Kulisse des stets hell erleuchteten, majestätischen Edinburgh Castle in einem einfachen Zimmer interviewt wird.  Es ist eines der besonders eindrücklichen Bilder in En tierra extraña, das ein Spannungsfeld zwischen ‚unten‘ und ‚oben‘, ‚arm‘ und ‚reich‘, ‚Gefangenschaft‘ und ‚Freiheit‘ auf subtile Weise suggeriert.

Um auf die Situation der Spanier*innen in Schottland aufmerksam zu machen, gleichsam aber auch den Geschichten anderer Gleichgesinnter eine Stimme zu geben, haben einige unter ihnen, darunter die gelernte Lehrerin Gloria Egea Cañabate, das Projekt „Ni perdidos no callados / Weder verloren noch verstummt“ ins Leben gerufen. In den sozialen Netzwerken beschreiben sie mit dem Symbol des verloren gegangenen Handschuhs das Gefühl vieler Migrant*innen:

„Fühlen Sie sich wie ein verlorener Handschuh, der seine ‚bessere Hälfte‘ vermisst, wenn Sie an Ihr Land denken? Wir schon. Wie ein Handschuh, dessen andere Hälfte uns entrissen wurde, weil wir unser Zuhause, unsere Freunde, unsere Familie, unser Leben zurückgelassen haben.“

Das Kollektiv kanalisiert die Wut vieler Spanier*innen gegenüber ihrer Regierung, die die prekäre Arbeitssituation von Jungakademiker*innen im Herkunftsland verleugnet und die Flucht der jungen Bevölkerung mit reiner Abenteuerlust begründet.  

Statement

„Was mich in den Schilderungen der Menschen, die im Ausland sind, am meisten berührt hat, ist ihre enorme Sehnsucht nach unserem Land und gleichzeitig ihre tiefe Enttäuschung darüber, dass das Land, nach dem sie sich so sehr sehnen, ihnen keine Chance und keine Zukunft bietet.“ 

Icíar Bollaín

*1967, Madrid, Spanien. Vielfach prämierte Schauspielerin, Filmregisseurin und Drehbuchautorin, Mitglied der Academia Española de Cinematografía. En tierra extraña ist Bollaíns erster Dokumentarfilm.

Credits

REGIE lcíar Bollaín
PRODUKTION Tormenta Films, Turanga Films y TVE
PRODUZENTINNEN Cristina Zumarraga, lcíar Bollaín y Lina Badenes
BUCH lcíar Bollaín
MUSIK Pascal Gaigne
LAND Spanien und Schweden
DAUER 72min