Inncontro 2023

Kindheit & Jugend im Kontext von Migration

23. – 25. November 2023 | Leokino Innsbruck

Inncontro – Internationales Filmfestival der Vielheit lädt zum Austausch über (Post-)Migration, Flucht und Exil ein – in Form von internationalen Spiel- und Dokumentarfilmen sowie Gesprächen, in denen die Perspektiven und die Handlungsmacht derjenigen im Mittelpunkt stehen, die migriert oder mehrheimisch sind, die fliehen mussten oder müssen, die Rassismus erfahren oder von aktuellen menschenfeindlichen Migrationsregimen betroffen sind.

Im Fokus stehen Erfahrungen von Kindheit und Jugend im Kontext von Migration. Gerade auch für junge Menschen zeigt sich (Post-)Migration als bewegendes Moment, das Bindungen und Beziehungen verändert, Verantwortlichkeiten verschiebt und Fragen von Zugehörigkeiten und Identitäten verstärkt in den Raum stellt. Eine Situation, die ebenso ermächtigen wie (über)fordern kann, und neue, kreative Umgangsstrategien vonnöten macht.

So versucht der 12-jährige Ivo im Wien der 70er Jahre dem Heimweh und dem Rassismus seiner Umgebung durch einen gewagten Fluchtversuch zu entkommen (Vojtěch Jasný, 1976). In Los Lobos (Samuel Kishi Leopo, 2020) treiben Max und Leo, die gerade mit ihrer Mutter aus Mexiko in die USA eingereist sind, entgegen strikter Anweisungen die Neugier und Fantasie aus der Isolation des Zimmers in eine Welt voller Überraschungen.

Réveil sur Mars (Dea Gjinovci, 2020) erlaubt einen empathischen Einblick in die Stärke der geflüchteten Familie Demiri: Dabei der 11-jährige Furkan, der in Weltraumphantasien eine Welt ohne Verfolgung imaginiert, sowie seine Schwestern, die unter dem Resignation-Syndrom leiden, ein apathischer Zustand, der monate-, mitunter sogar jahrelang andauert, und unter dem besonders häufig geflüchtete, traumatisierte Kinder in als hoffnungslos erlebten Asylsituationen erkranken. 

In Une histoire d’amour et de désir (Leyla Bouzid, 2021) treffen der schüchterne Ahmed und die extrovertierte Farah in einem Kurs zu arabischer Liebesliteratur aufeinander – und ebenso ihre unterschiedlichen Migrationsbezüge, Lebensrealitäten und Vorstellungen von Beziehung und Tradition.

Einem Roadmovie gleich erzählt Take me somewhere nice (Ena Sendijarević, 2019) schließlich von Alma, die ihren erkrankten Vater in Bosnien besuchen will. Auf frische, skurrile Art und Weise werden Fragen nach Identität, Migration und Ost-West-Beziehungen verhandelt und dabei Stereotype auf den Kopf gestellt.

Wir wünschen gute Projektionen!

Vojtěch Jasný | DE 1976 | 95 min | OV
Donnerstag, 23. November 2023 | 20:00 uhr

Im Wien der siebziger Jahre leidet der zwölfjährige Ivo unter Heimweh und dem Rassismus seiner Umgebung. Während seine Mutter sich im damaligen Jugoslawien um die schwerkranke Großmutter kümmert, erledigt Ivo in Wien den Haushalt und kocht für seinen Vater und die Brüder, die auf der Baustelle als sogenannte „Gastarbeiter” ungleicher Behandlung und rassistischen Beschimpfungen ausgesetzt sind. Eines Tages reicht es Ivo: Er fasst den Entschluss, abzuhauen. Ausgestattet mit nichts als seinem Mantel und einer Maultrommel, begibt er sich per Autostopp in Richtung Grenze – und trifft dabei auf große wie kleine Leute, solidarische und abweisende, und alles, was dazwischen liegt. Nach der gleichnamigen Erzählung von W.J.M. Wippersberg verfilmte der tschechische Regisseur Vojtěch Jasný den „Fluchtversuch“ aus der Perspektive eines erstaunlich eigenständigen, spitzbübischen Kindes.

IM GESPRÄCH Dženeta Karabegović
MODERATION
Eva Binder

In Kooperation mit den Kinozeitreisen des Otto-Preminger-Instituts und dem Osteuropazentrum der Universität Innsbruck.

Titel: Fluchtversuch; 16mm; Version: OF; Länge: 95 Min.; Jahr: 1975; Land: BRD; Regie: Vojtěch Jasný; Drehbuch: W.J.M. Wippersberg, Vojtěch Jasný; Vorlage: Nach einer Erzählung von W.J.M. Wippersberg; Produktion: Tatjana-Film; Musik: Eberhard Schoener; Kamera: Walter Lassally

Dea Gjinovci | FR, CH 2020 | 75 min | OmeU
Freitag, 24. November 2023 | 17:00 uhr

Der 11-jährige Furkan träumt davon, mit einem Raumschiff zum Mars zu fliegen – so könnte niemand mehr seiner Familie etwas anhaben. Als Rom:nja verfolgt, mussten sie den Kosovo verlassen und warten nun seit Jahren auf die Bewilligung ihres Asylantrags in Schweden. Furkans Weltraumphantasien sind aber auch Ausdruck des überwältigenden Schmerzes über die Krankheit seiner Schwestern Ibadeta und Djeneta, die am Resignation-Syndrom leiden: ein apathischer, koma-artiger Zustand, der monate-, mitunter sogar jahrelang andauert, und an dem besonders häufig geflüchtete, traumatisierte Kinder in als hoffnungslos erlebten Asylsituationen erkranken. 

Dea Gjinovci erlaubt einen empathischen Einblick in die Stärke der geflüchteten Familie. Ihre eindrucksvollen Filmeinstellungen übersetzen kunstvoll den Kontrast zwischen der Enge der Lebenswelt der Schwestern und dem Freiheitsdrang der jüngeren Brüder. 

IM GESPRÄCH Dea Gjinovci
MODERATION
Julia Rhomberg

In Kooperation mit dem Tiroler Landesverband für Psychotherapie.

Titel: Réveil sur Mars; Filmlänge: 74mn; Länder: Schweiz – Frankreich; Jahr: 2020; Regisseurin: Dea Gjinovci; Produktion : Alva Film Production, Mélisande Films, Dea Gjinovci; Koproduktion mit: RTS – Radio Télévision Suisse; Zusammenarbeit mit: Amok Films und Heidi Fleisher; Produzent:innen: Britta Rindelaub, Jasmin Basic, Sophie Faudel, Dea Gjinovci, Heidi Fleisher; Bilder: Maxime Kathari; Ton: Quentin Coulon; Produktionsdesign: Jesse Wallace; Kostümdesign: Aurelia Martin; Musik: Gael Kyriakidis und Pavillon – Fabio Poujouly & Jeremy Calame; Schnitt: Catherine Birukoff; Tonschnitt: Amélie Canini; Tonmischung: Philippe Ciompi; Farbkorrektur: Rodney Musso

Leyla Bouzid | Fr 2020 | 102 min | OmeU
Freitag, 24. November 2023 | 20:00 uhr

Amour, die geistige, keusche Liebe und désir, die körperliche Liebe, das Verlangen:
Diese widersprüchlichen Gefühle erwachen im schüchternen Erstsemestrigen Ahmed, als er in einem Kurs zu arabischer Liebesliteratur Farah kennenlernt, die für ihr Studium eben erst aus Tunesien nach Frankreich gezogen ist und prompt eine Stadttour von ihm einfordert. Doch ähnlich wie Farah besser Französisch kann, als es Ahmed erwartet hätte, hält Farahs Annahme, Ahmed kenne als Pariser die Stadt wie seine Westentasche, der Realität nicht stand: Als Sohn einer algerischen Familie, die aufgrund der journalistischen Tätigkeit des Vaters das Land verlassen musste, wuchs Ahmed in der Pariser Banlieue auf – das touristische Paris ist ihm genauso fremd wie die Auseinandersetzung mit einer ihm bis dato unbekannten arabischen Erotikliteratur. 

Leyla Bouzid gelingt mit ihrem zweiten Spielfilm nicht nur eine sinnliche Hymne an das körperliche Verlangen und die Liebe, sondern auch eine feinsinnige Coming-of-Age-Geschichte, die mit Clichés bricht und die Identitätssuche des jungen Ahmeds in den Mittelpunkt rückt.

In Kooperation mit dem Frankreich Schwerpunkt der Universität Innsbruck.

Titel: Une histoire d’amour et de désir; Land: Frankreich; Jahr: 2020; Dauer: 1h42; Drehbuch und Regie: Leyla Bouzid; Produzentin: Sandra Da Fonseca; Assoziierte Produzenten: Bertrand Gore, Nathalie Mesuret; Bild: Sébastien Goepfert; Schnitt: Lilian Corbeille; Originalmusik: Lucas Gaudin; Toningenieur: Nassim El Mounabbih; Tonschnitt: Antoine Baudoin; Mischen: Niels Barletta; Produktionsleitung: Pierre Delaunay; Leitung der Postproduktion: Delphine Passant; Ausstattung: Léa Philippon; Kostüme: Céline Brelaud; Make-Up: Flore Chandès; Regieassistenz: Camille Servignat; Drehbuchautorin : Leïla Geissler; Besetzung: Stéphanie Doncker; Allgemeine Regie: Maxime Mund

Samuel Kishi Leopo | MX 2020 | 94 min | OmdfU
Samstag, 25. November 2023 | 17:00 uhr

Die alleinerziehende Lucía verlässt mit ihren kleinen Kindern Max und Leo Mexiko, um in den USA ein neues Leben aufzubauen. Im kargen Einzimmer-Apartment, das sie für 500 Dollar bezieht, schläft die Familie, die nur mit dem Nötigsten angereist ist, am Boden. Die Kinder verbringen die Tage im Inneren des Raums, während ihre Mutter draußen verschiedenen Jobs nachgeht. Es gilt, unter keinen Umständen von der Migrationsbehörde entdeckt zu werden, weshalb Lucía ihren Söhnen auf einem Kassettenrekorder sieben Verhaltensregeln einschärft, die sie in ihrer Abwesenheit zu beachten haben – darunter: niemals das Zimmer verlassen, nicht aus dem Fenster schauen! Aber Kinder wären nicht Kinder, wenn ihre Fantasie, die sie fliegende Wolf-Superhelden erfinden lässt, und Neugier sie nicht nach draußen treiben würden… 

Auf unaufgeregte Weise erzählt Samuel Kishi Leopo seine eigene Geschichte, eine Geschichte der Einsamkeit, aber auch der Solidarität zwischen Migrant:innen.

IM GESPRÄCH Samuel Kishi Leopo
MODERATION
Oscar Thomas-Olalde

In Kooperation mit dem Zentrum für Interamerikanische Studien der Universität Innsbruck.

Originaltitel: Los lobos; Land: Mexiko; Jahr: 2020; Dauer: 94 Minuten; Sprache/UT: Spanisch, Englisch, Kantonesisch/d/f; Regie: Samuel Kishi Leopo; Drehbuch: Samuel Kishi, Luis Briones, Sofía Gómez-Córdova; Montage: Yordi Capó, Carlos Espinoza, Samuel Kishi; Kamera: Octavio Arauz; Musik: Kenji Kishi; Ton: Mario Martínez Cobos; Ausstattung:  Hania Robledo, Luis Antonio Ordoñez; Kostüme: Sheila Eden, Nohemi Gonzalez; Produktion:  Leticia Carrillo, Inna Payán

Ena Sendijarević | NL, BA 2019 | 91 min | OmeU
Samstag, 25. November 2023 | 20:00 uhr

Alma ist mit ihrer Mutter vor dem Krieg geflohen und in den Niederlanden aufgewachsen. Bosnien hat sie seit ihrer Kindheit nicht mehr besucht – so auch ihren dort lebenden Vater nicht, der inzwischen schwer erkrankt ist. Die Jugendliche macht sich auf in die Heimat ihrer Eltern und wird dort von ihrem wenig hilfsbereiten Cousin Emir empfangen, der kein Interesse daran zeigt, die fremd gewordene Verwandte mit dem Auto zum abgelegenen Krankenhaus zu kutschieren. Nur mit der Kleidung auf ihrem Körper und dem Smartphone in der Hand tritt Alma kurzerhand selbst die Reise mit dem Bus an. Ohne Sprachkenntnisse und Geld verwandelt diese sich in einen abenteuerlichen Roadtrip, in dem eine absurde Situation die andere jagt. 

Mit viel Humor, skurrilen Kameraperspektiven und schrillem Sound macht Regisseurin Ena Sendijarević das Lebensgefühl der Generation Z fühlbar, verhandelt dabei Fragen nach Identität, Migration und Ost-West-Beziehungen und stellt Stereotype auf den Kopf.

EINFÜHRUNG Marco Friedrich Trenkwalder und Maurice Munisch Kumar

In Kooperation mit der Diametrale – Festival für Experimentelles und Komisches.

Originaltitel: Take me somewhere nice; Land: Niederlande, Bosnien; Länge: 91 min; Jahr: 2019; Autorin und Regisseurin: Ena Sendijarević; Erster Regieassistent: Paul Zomerhuis; Herstellungsleitung: Jet Christiaanse; Kamera: Emo Weemhoff; Produktionsdesign: Myrte Beltman; Kostüme: Nedda Nagel; Haare und Make-up: Trudy Buren; Schnitt: Lot Rossmark; Tontechnik: Vincent Sinceretti; Musik: Ella van der Woude; Produktionsassistenz: Amra Bakšić Čamo; Koproduktion: VPRO: Joost de Wolf, Marieke Mols; Kreativ-Produzentin: Layla Meijman; Produzentin: Pupkin: Iris Otten, Sander van Meurs, Pieter Kuijpers

FREEFILMERS MARIUPOL

AUSSTELLUNG VOM 18. NOVEMBER 2023 – 23. FEBRUAR 2024
ERÖFFNUNG FREITAG, 17. NOVEMBER 2023 | 18:00 UHR
KUNSTRAUM INNSBRUCK | MARIA-THERESIENSTRASSE 34, INNSBRUCK

Kuratiert von Ivana Marjanović mit Oksana Kazmina

Die Ausstellung präsentiert Kunstwerke des Kollektivs FreeFilmers Mariupol, dessen Mitglieder früher in der ostukrainischen Industrieküstenstadt Mariupol lebten und arbeiteten. Die vor und während der vollständigen Invasion der Ukraine entstandenen Projekte erinnern an Orte, soziale und kulturelle Infrastrukturen, die von den russischen Truppen ausgelöscht wurden, und reflektieren die komplexen Prozesse, die sich heute in der vom Krieg zerrütteten Ukraine abspielen. Mit den Mitteln des Kunstaktivismus setzen die Künstler:innen ihren Kampf gegen die russische Invasion fort. Die Arbeiten von FreeFilmers werden von einigen Projekten anderer ukrainischer Künstler:innen begleitet, deren Praxis und Kampf das Kollektiv schätzt und mit denen es sich solidarisiert. Die Ausstellung zeigt Videoperformances, kurze Experimentalfilme, Gemälde und Zeichnungen.

FreeFilmers begann als Netzwerk von Filmemacher:innen und Künstler:innen mit Sitz in Mariupol. Nach der russischen Invasion verwandelte sich die Gruppe in eine humanitäre Basiskooperative, die einigen der am meisten gefährdeten Menschen im Süden und Osten der Ukraine hilft. Seit 2018 beschäftigen sie sich mit Themen der urbanen Transformationen in der Ostukraine und deren multikulturellen Verflechtungen. Sie haben auch die Kreativität der Arbeiterklasse und die industrielle Vergangenheit und Gegenwart der postsozialistischen Städte erforscht. Freefilmers machen Filme, die so aufmerksam und sensibel wie möglich auf die Realität reagieren und deren Hauptaugenmerk auf dem menschlichen Leben, dem Kampf gegen imperialistische Kriege auf der ganzen Welt, für Gleichheit und Freiheit liegt.

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Bild: Maria Pronina, A Collage for FreeFilmers, 2023 

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