What the wind took away

Der von Helin Celik und Martin Klingenböck produzierte Dokumentarfilm What the wind took away widmet sich dem Schicksal der Jesiden, einer religiösen Minderheit, die vor allem in ihrem Siedlungsgebiet des Nordirak als „Ungläubige“ Opfer von Verfolgung und Massaker durch den IS werden und zur Flucht gezwungen werden. Der österreichische Film gibt Einblick in das Leben zweier vertriebener Familien in einer der Notunterkünfte des Nachbarlands Türkei. Die beiden jungen Frauen erzählen vom Reichtum ihres alten Lebens, der gefährlichen Flucht über die Berge und dem zermürbenden Flüchtlingsalltag, zeigen zwischen den Zeilen aber auch die eigene Stellung als Frau in einer streng religiösen Gemeinschaft.

Der Westwind erinnere sie an ihre Heimat im Nordirak, er mache sie traurig, erzählt eine der beiden Frauen. Vertrieben aus dem eigenen Land, seien sie nun wie die Vögel und der Wind ihrer Wurzeln beraubt worden. Da erstaunt es nicht, dass die beiden Frauen, wie zwei Bauleiterinnen agierend, ihre eher planlos danebenstehenden Männer herumkommandierend, in der Zeltunterkunft im Flüchtlingscamp ein Gemüsebeet anlegen, eine „stabile“ Küche aus Holz bauen wollen. Das in die Erde geschlagene Holz wie auch die darin vergrabene Saat können als starke Sehnsuchtsmetapherdes „Wurzelschlagens“ gesehen werden. Postmoderne Luftwurzeln, sachte gen Boden neigend, ohne mit diesem zu eng verbunden zu sein. Eine Annäherung zum Fremden, ein Anfang. Das Kamerateam fängt dazu das Bild eines in die Luft aufsteigenden bunten Drachens zwischen dem Weißgrau des Himmels und der Zelte ein, Symbol der Freiheit auf Raten, der Leichtigkeit des Moments im Dazwischen – bis der Wind sich dreht und die Schwerkraft wieder spürbar macht.Es ist diese Metapher, die erklärt, weshalb unter all den überbordenden Filmen zum Thema „Flucht & Migration“ der Dokumentarfilm What the wind took away mit seiner positiven Kraft heraussticht, die nicht durch schöngeistiges Herumschwadronieren und autosuggestives Beschönigen erzeugt wird, sondern durch das aktive Handeln der Betroffenen. Wenngleich sie das Trauma der Vergangenheit nicht loslässt, bleiben sie der Zukunft zugewandt. Denn für nichts anderes stehen die kleinen Bauprojekte der Flüchtlingsfamilien, allein das Wort „Projekt“, vom Lateinischen proiectum, beinhält den Blick nach vorne, oder wortwörtlich: das Nach-vorn-Geworfene.

„Wir Jesiden sind zu Tauben geworden, Tauben ohne Flügel“

Der lyrisch anmutende Titel ist Programm: Das Team von What the wind took away hat sich augenscheinlich nicht zum Ziel gesetzt, die Volksgruppe der Jesiden „an sich“ vorzustellen und kritisch zu hinterfragen – ihren Glauben, ihre Riten, ihre Stellung zur Frau. Vielmehr lässt es den Zuschauer eintauchen in letztendlich allgemeingültige Gefühle wie Nostalgie und Exilschmerz. Die Stellung der Frau lässt sich nur erahnen, doch wirkt allein die Tatsache unbehaglich, dass die einzigen Jesidinnen, die im Interview zu Wort kommen (dürfen?), beide von sich behaupten, bei ihrer Heirat „Glück“ gehabt zu haben. Das Glück, keine Angst vor ihren Männern haben zu müssen, das Glück, nicht daheim eingesperrt zu sein. Im Gegensatz zu den anderen, denen der Wind, Täter ohne Gesicht und Verantwortung, wohl die Stimme weggenommen haben wird.

Credits

Countries & year of production: Austria, Turkey; 2017
Length: 75 minutes
Idea: Helin Celik
Script: Helin Celik, Martin Klingenböck
Producers: Martin Klingenböck, Helin Celik
Cinematography: Martin Klingenböck, Deniz Blazeg
Dramaturgy & Editing: Ascan Breuer, Dokumentarisches Labor
Dramaturgical Advice: Dieter Pichler
Cast: Hedil, Ismael, Mayk, Kheri, Eween Naam, Saad, Maks, Fahed, Waed, Suhayep and Wahida, Delwin, Pakiza, …
Sound Design: Roumen Dimitrov, Adriana Milanova
Music & Sound Mixing: Roumen Dimitrov
Translation: Ibrahim Abbas, Hayfa Kahraman, Delras Permous
German subtitles: Ascan Breuer, Martin Klingenböck, Stefania Schenk Vitale
English subtitles: Stefania Schenk Vitale, Helin Celik
Post Production
Assistants:
Armin Kirchner, Berta Güerre, Simone Hart, Julia Schmidt
Color Grading: Daniel Hollerweger
Retouching / VFX: Micha Elias Pichlkastner
Graphic Design: David Einwaller
DCP Authoring: Johannes Gierlinger
Production Company: Klingenböck Filmproduktion