Diese spontane Arbeitsniederlegung war nicht geplant

August 1973, Köln-Niehl. Unter dem Slogan „Eine Mark mehr!“ wehren sich türkische Arbeiter gegen ungleiche Entlohnung auf dem Ford-Werksgelände und streiken für bessere Arbeitsbedingungen. Ein herausragender Moment migrantischer Selbstermächtigung, ein beispielloser Arbeitskampf, dem mit fehlender Solidarität, einer Politik der Spaltung und rassistischer Hetze begegnet wurde.

In Reaktion auf die Entlassung von 300 Arbeitskräften, die Abwälzung derer Arbeit auf die migrantische Belegschaft und die fehlende Unterstützung der Gewerkschaft bei der Forderung nach Lohnerhöhungen begann nach einem Demonstrationszug am 24. August 1973 einer der bekanntesten Arbeitskämpfe im Jahr 1973 auf dem Ford-Werksgelände in Köln-Niehl. Unter dem Slogan „Eine Mark mehr!“ setzten sich v.a. türkische Arbeiter*innen für bessere Arbeitsbedingungen für sich und ihre migrantischen Kolleg*innen ein: „Verminderung der Bandgeschwindigkeiten, Senkung des Arbeitstempos, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sechs Wochen Urlaub, eine Mark mehr für alle, Wiedereinstellung der Entlassenen, Bezahlung der Streikstunden“ (vgl. Bojadžijev: Die windige Internationale, S. 158).

Nur etwa zwanzig Deutsche schlossen sich der „Türkensache“, wie die spontane Arbeitsniederlegung auf dem Werksgelände genannt wurde, an – wohl, weil der deutsche Teil der Belegschaft von den prekären Verhältnissen zum großen Teil nicht betroffen war. Die „Drecksarbeit“ war den sogenannten „Gastarbeitern“ vorbehalten: „Weil ich eben ein Türke bin, muss ich wie ein Tier arbeiten und bekomme das Wenigste“, beschreibt es einer der Streikenden.

Von der Gewerkschaft gab es wenig Rückhalt, stattdessen betrieb diese eine Politik der Spaltung. Die Exekutive und eine Gegendemonstration deutscher Kolleg*innen („Wir wollen arbeiten!“) begegneten den friedlich Streikenden mit Gewalt und überwältigten sie, die Ford-Leitung reagierte mit Entlassungen. Baha Targün, Sprecher des Streikkomitees, wurde in die Türkei ausgewiesen (vgl. Kızılay: Migration und Arbeitskämpfe). Auch der Kommentar der Bild-Zeitung zum Aufstand offenbart ein von rassistischen Ressentiments geprägtes Weltbild: „Gastarbeiter kommt von Gast. Ein Gast, der sich schlecht benimmt, gehört vor die Tür gesetzt.“

Knapp 10 Jahre nach den Ereignissen versuchte sich das Regieteam des WDR an einer ersten Aufarbeitung dieses bedeutsamen Kapitels migrantischen Aktivismus in Deutschland und alterniert kommentierte Archivaufnahmen mit Interviews deutscher und türkischer Aktivist*innen und Zeitzeug*innen. Der Film ist seltenes und noch seltener zu sehendes Zeugnis migrantischer Arbeitskämpfe, der mit herkömmlichen Narrativen und Darstellungen von Arbeitsmigrant*innen bricht. Solche Brüche sind jedoch kaum in die kollektive Wahrnehmung eingedrungen oder zum Anlass neuer Narrative genommen worden:

„Ein Grund dafür ist die kollektive Amnesie, unter der die lange Geschichte migrantischer Kämpfe in Deutschland begraben liegt.  Der vielleicht bekannteste unter diesen unbekannten Kämpfen war der so genannte Türkenstreik in den Ford-Werken in Köln-Niehl im August 1973. Doch auch er ist inzwischen fast dem Vergessen anheim gefallen: Die Suche nach historischer Aufarbeitung in der wissenschaftlichen Literatur zeitigt wenig Erfolge, ein Anruf im historischen Archiv der Ford-Werke Köln ergibt, dass zwar die damalige Tagespresse gesammelt ist, jedoch keine betriebsinternen Akten ausgewertet wurden; in den Personalzeitungen aus jener Zeit findet man nichts.“ (kanak-attak.de)

Inncontro – Internationales Filmfestival der Vielheit versteht sich als diskursiver Beitrag für ein diskriminierungsfreies, gleichberechtigtes Zusammenleben in Gegenwart und Zukunft. Mit der Entscheidung, das Festival mit einem historischen Film zu eröffnen, sollen Themen und Darstellungen von Migration in ihrer Entwicklung erschlossen werden. Wie verändert sich unser Blick, unsere Wahrnehmung, unser Bild- und Sprachgebrauch, welche Narrative und Repräsentationen begleiten unser Denken? Und welche Zusammenhänge oder Ereignisse finden keinen Eingang in das kollektive Gedächtnis?

Thomas Giefer

*1944. Deutscher Dokumentarfilmer und Journalist.

Yüksel Uğurlu

Türkischer Journalist, Dokumentarfilmer, Kameramann und Autor.

Klaus Baumgarten

Credits

REGIE: Thomas Giefer, Yüksel Uğurlu, Klaus Baumgarten
JAHR: 1982
DAUER: 45 min
LAND: DE

Quellen